Trauer-/Schock-Schmerzengeld bei Verlust von Angehörigen

Trauer-/Schock-Schmerzengeld für den Verlust von Angehörigen nach Verkehrs-/Freizeit-/Sport-Unfällen

Statistisch gesehen, sterben in Österreich jeden Tag zwei Menschen im Straßenverkehr und fünf Menschen bei Freizeitunfällen. Wenn man diese Zahlen hochrechnet und  ebenso wie den Umstand bedenkt, dass sowohl im Straßenverkehr als auch bei Freizeit-/Sportunfällen häufig (auch grobes) Fremdverschulden im Spiel ist und wenn man dann bedenkt, wie viele Menschen laufend vom Verlust naher Angehöriger betroffen sind, so muss es tatsächlich verwundern, wie selten nach wie vor Ansprüche von Trauer-Schmerzengeld für den Verlust naher Angehöriger in der Gerichts- bzw Versicherungspraxis vorkommen. Diese nun in der modernen höchstgerichtlichen Rechtsprechung eindeutig anerkannten Ansprüche sind offensichtlich nach wie vor weithin unbekannt.

Zunächst bejaht der OGH (Oberste Gerichtshof) im wesentlichen seit seiner in SZ 74/90 veröffentlichten Entscheidung und in mittlerweile ständiger Rechtsprechung einen „Trauerschaden“ im engeren Sinne (also ohne Verbindung mit einer medizinisch fassbaren Krankheit) bei grober Fahrlässigkeit des Schädigers im Falle des Verlustes engster Angehöriger (zB Trauerschaden der Eltern bezüglich ihres getöteten Kindes). Dies war zB Gegenstand der aktuellen höchstgerichtlichen Entscheidung OGH 12.07.2007, 2 Ob 263/06 z. In dieser Entscheidung hält der OGH fest, dass die Intensität der Gefühlsgemeinschaft nicht nur an der Anzahl der gemeinsam verbrachten Lebensjahre gemessen werden kann. Gerade bei Kleinkindern geht es schließlich um den Verlust eines haushaltszugehörigen Mitgliedes der Kernfamilie und um eine besondere Intensität der familiären Nahebeziehung. Den Eltern steht auch nicht deswegen weniger Anspruch auf Trauerschmerzengeld zu, weil sie noch ein weiteres gemeinsames Kleinkind haben. In diesem Fall hat der OGH Trauerschmerzengeld von € 20.000,– je Elternteil für angemessen befunden.

Mit der Entscheidung des OGH in ZVR 2004/6 wurden einem 55-jährigen Familienvater in einem Extremfall (unfallsbedingter Verlust von Ehefrau und drei Kindern; schwere andauernde psychische Beeinträchtigungen) € 65.000,– zugesprochen.

Mit der in ZVR 2004/86 veröffentlichen Entscheidung wurde – eher ausnahmsweise trotz fehlender Haushaltsgemeinschaft – wegen einer besonders engen Beziehung zwischen der getöteten 61-jährigen Mutter und dem 40-jährigen Sohn ein Trauerschmerzengeld von € 13.000,– bejaht.

In der Entscheidung ZVR 2005/73 bezifferte der OGH den Anspruch auf Trauerschmerzengeld eines Klägers, der bei einem Verkehrsunfall seinen behinderten Bruder verloren hatte, mit € 9.000,–, weil dabei eine sehr fürsorgliche, einem Vater-Sohn-Verhältnis nahekommende Beziehung bestanden hatte.

Um Schock-/Trauer-Schmerzengeld eines Klägers, der nach dem Tod seiner Lebensgefährtin (wurde bei nächtlichem Verkehrsunfall als Fußgängerin von einem alkoholisierten LKW-Lenker erfasst und verstarb noch an der Unfallsstelle) unter einer psychischen Störung mit Krankheitswert litt, die sodann in einem physiologischen Trauerzustand überging und wofür € 11.000,00 zuerkannt wurden, ging es in der Entscheidung OGH 02.02.2006, 2 Ob 212/04 x. Hier wurde klargestellt, dass die Intensität einer Beziehung zwischen Lebensgefährten zumindest das geltendgemachte Schmerzengeld rechtfertige, zumal der Verlust eines Lebenspartners, mit dem der bisherige Alltag geteilt worden sei, die Lebenssituation drastisch ändere und daher als besonders schmerzlich empfunden wird. Wesentlich ist also die Intensität der familiären Bindung – oder auch Lebensgemeinschaft – sowie (grundsätzlich) das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft.

In der Entscheidung OGH 14.06.2007, 2 Ob 163/06 v, fasst der OGH nochmals den Stand seiner bisherigen Rechtsprechung zu diesem Thema zusammen:

Zum einen gibt es einen Schadenersatzanspruch der Angehörigen bei Vorliegen bloßen Trauerschadens (ohne Krankheitswert bzw ohne eigener Gesundheitsschädigung des also „nur“ Trauernden); für einen solchen Anspruch ist grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz des Schädigers Voraussetzung.

Zum anderen gibt es sogenannte Schockschäden mit Krankheitswert. Dies kann auch bejaht werden, wenn (bisher) noch nicht medizinische oder psychologische Hilfe in Anspruch genommen wurde. Solche Beeinträchtigungen mit Krankheitswert können durchaus auch bei Symptomen wie Schlaflosigkeit, völliger Schwunglosigkeit, Erschöpfungszustände, Schlafstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, Hoffnungslosigkeit, traurige Verstimmung etc vorliegen. Schockschäden in diesem Sinne setzen also nicht unbedingt einen „Schock“ im herkömmlichen Sinne voraus, wie etwa durch Anwesenheit des Angehörigen des Getöteten/Schwerstverletzten beim Unfall oder aufgrund der Todesnachricht/Nachricht der schwersten Verletzungen. In einem solchen Fall muss auch keine grobe Fahrlässigkeit des Schädigers vorliegen, die Ansprüche gebühren auch ohne einem solchen Verschuldensnachweis und auch schon aufgrund der Gefährdungshaftung nach dem EKHG (also im Straßenverkehr wesentlich, quasi verschuldens-unabhängig, aber natürlich nicht ohne Fremdeinwirkung oder bei Selbstverschulden). Diese Gruppe der seelischen Beeinträchtigungen (mit Krankheitswert) betrifft nicht nur den Verlust, also den Tod, naher Angehöriger, sondern auch schwerste Verletzungen, so etwa bei lebenslänglicher Pflegebedürftigkeit eines Kindes mit Pflege durch eine Mutter oder bei dauernder Pflege eines Schwerversehrten durch eine Ehefrau (Schockschmerzengeld für die pflegenden Angehörigen). Es muss auch nicht die Verletzung des Angehörigen selbst einen Schock auslösen, sondern kann beispielsweise erst seine Betreuung aufgrund einer Überlastungssituation zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung des pflegenden Familienmitgliedes führen. Eine dauerhafte Belastung wirkt oftmals sogar schwerer als ein zeitlich begrenztes Schockgeschehen.

Bei psychischen Beeinträchtigungen mit Krankheitswert ist daher nicht unbedingt Verschulden oder gar grobes Verschulden (grobe Fahrlässigkeit, Vorsatz) Voraussetzung für einen Anspruch und sind typische Anwendungsfälle der Tod, die schwerste Verletzung eines nahen Angehörigen oder das Miterleben des Todes (so auch OGH 26.06.2007, 1 Ob 88/07 h). In einem Fall (ZVR 1995/46) hat der OGH aber zB auch einen Anspruch bejaht, nachdem ein Kleinkind eine Trennungsneurose erlitt, weil die Mutter nach einem Verkehrsunfall zwei Monate stationär in einem Krankenhaus war. In einem anderen Fall (OGH in JBl 2004, 111) wurden Ansprüche der Tochter bejaht, die nach schweren Verletzungen beider Elternteile magersüchtig wurde.

Schon diese Einzelfälle aus der Gerichtspraxis zeigen, wie vielschichtig die Thematik sein kann und wie häufig sich hier – übersehene oder unbekannte – Ansprüche ergeben können. Unter diesem Gesichtspunkt sind nämlich die Gesamtheit der schweren und tödlichen Verkehrsunfälle, natürlich auch sämtliche vorsätzlichen Tötungen/Morde, aber auch Freizeit- und Sportunfälle mit Fremdbeteiligung zu prüfen, vor allem also die Fälle all jener Personen, welche nahe Angehörige einschließlich Lebensgefährten durch ein solches plötzliches Ereignis mit Fremdeinwirkung verloren haben. Den Stand der Rechtsprechung zu kennen und möglichst umfassende Ansprüche für Klienten/Geschädigte geltend zu machen, ist in der anwaltlichen Betreuung eigentlich selbstverständlich. Es dürfte hier aber auch ein Informationsdefizit insofern vorliegen, als Geschädigte/Angehörige häufig gar nicht auf die Idee kommen, mit welchen Ansprüchen sie sich an einen Rechtsanwalt zur – außergerichtlichen oder gerichtlichen – Geltendmachung wenden können.

Abschließend möchte ich festhalten, dass die in der bisherigen Gerichtspraxis entwickelten Grundsätze und Ansprüche zwar dem Grunde nach zu begrüßen sind, allerdings erscheinen mir die in den Einzelfällen bisher zuerkannten Beträge viel zu gering. Folgt man auch der Meinung, dass der Verlust eines nahen Angehörigen ohnedies niemals mit Geld ausgeglichen werden kann, so darf dies dennoch kein Argument dafür sein, auf Dauer an Schmerzen­geld-Beträgen wie in den bisher ausjudizierten und oben vorgestellten Fällen (also rund € 10.000,– bis € 20.000,– für den Verlust von Angehörigen) festzuhalten. Ob man nun für das Zehnfache der bisherigen Praxis eintritt oder auch immer wieder auf Extremfälle stößt, wo man den Hinterbliebenen das Hundertfache der bisherigen Zusprüche gönnen würde – auf jeden Fall wird die Rechtspraxis und werden konkret wir als Rechtsanwälte nach Kräften dafür zu sorgen haben, derartige Ansprüche nicht nur nicht zu übersehen, sondern auch auf eine Fortentwicklung des Meinungsstandes und der Gerichts­praxis zur Höhe des Trauer-/Schock­schmerzengeldes zu drängen.

Dr. Oliver Koch, Rechtsanwalt